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Kindheit und Familie im „Dritten Reich“

In dieser Sequenz schildert Lisa Stürner (Jg. 1930) ihre Kindheit in einer alteingesessenen Aidlinger Bauernfamilie.

Mit der Bezeichnung ihrer Familie als „kinderreich“ bezieht sie sich auf die Familienpolitik des „Dritten Reiches“. Die Ideologie des Nationalsozialismus überhöhte die Familie als „Keimzelle der Volksgemeinschaft“. Müttern von vier Kindern wurde seit Mai 1939 das bronzene Mutterkreuz verliehen. Ab Dezember 1940 erhielten alle Familien ab dem dritten Kind ein Kindergeld.

Ihren Vater bezeichnet Lisa Stürner als „Nazigegner“, der dieses Kindergeld nicht annehmen wollte und wegen seiner politischen Einstellung offenbar im Dorf angefeindet wurde. Ihre Aussage, der Vater hätte wegen der großen Familie und der Landwirtschaft eigentlich damals von der Wehrpflicht zurückgestellt werden müssen und sei vor allem wegen seiner politischen Einstellung eingezogen worden, lässt sich heute schwer nachprüfen. Tatsächlich gab es die Möglichkeit einer Zurückstellung vom Wehrdienst aus triftigen Gründen (Unabkömmlichkeitsstellung), dies wurde jedoch mit fortschreitender Dauer des Krieges zunehmend schwieriger.

Der Begriff, nach dem Lisa Stürner sucht, ist wahrscheinlich „Ortsgruppenleiter“. Ein Ortsgruppenleiter stand sowohl den Parteimitgliedern der NSDAP als auch allen Haushalten der Ortsgruppe vor. Selbst wenn bei der Entnazifizierung nach Kriegsende Ortsgruppenleiter oder auch Kreisleiter als Minderbelastete eingestuft wurden, waren sie doch häufig bei der ansässigen Bevölkerung sehr unbeliebt und sogar geächtet.

Ja, Aidlingen war damals noch ein kleines Dorf, natürlich. Und meine Eltern waren schon und dann ein bisschen reichere Bauern natürlich. Und dann waren wir drei Kinder, wo … drei nacheinander, jedes Jahr eins. Und ja, dann ist die Oma, Großmutter noch da gewesen und mein Vater hat ja fünf Schwestern gehabt, wo er auch hat müssen dann auszahlen natürlich. Es ist schon eine schwierige Zeit gewesen.

Und Ihre Eltern hatten eine Landwirtschaft? Ja. Ja, aber da waren sie noch nicht auf dem Hof, wo wir später waren, weil da die Großmutter noch da war. Und wo meine Eltern dann da hingezogen sind, da waren wir eben die drei großen Kinder und dann haben wir noch eins gekriegt, der ist Jahrgang 40 gewesen. Und mein Vater war ja total gegen Nazi. Also er ist auch dann gemobbt worden natürlich und hat müssen nicht einrücken, weil wir schon vier Kinder waren. Schon kinderreich damals. Und er hätte dann Kindergeld nehmen müssen vom Hitler und das hat er nicht angenommen und dann ist er denunziert worden und hat müssen einrücken. Und da war meine kleine Schwester einen Tag alt, wo er hat einrücken müssen. Und das war natürlich furchtbar.

Wie war das überhaupt? Als Sie neun Jahre alt waren, kommt, glaube ich, ihr jüngster Bruder zur Welt. Was hat das für Sie dann bedeutet? Das hat so viel geheißen: „Das ist jetzt dein Geschäft.“ Und es war auch so, natürlich, und ich musste in der Schule immer anhalten, weil meine Mutter ja auf dem Feld war und der große Bruder auch und der hat auch immer anhalten müssen, natürlich. Da hat der Lehrer natürlich auch nicht immer mitgemacht. Und dann sind wir beide ein Halbjahr beurlaubt worden, was heute ja auch nicht mehr gehen würde. Ich habe den Haushalt gehabt und die Kinder, die kleine Schwester dann auch, und meine Mutter und der Bruder waren halt auf dem Feld. Also es war selbstverständlich, dass alle Kinder in der Landwirtschaft mitgearbeitete haben? Ja.

Sie haben es schon erwähnt, der Krieg ging ja dann 39 los. Wenn Sie auch vielleicht noch mal kurz erzählen, was für Auswirkungen das dann auf Ihre Familie hatte. Das weiß ich noch wie heute, wo der Büttel – damals haben die Büttel ja so geschellt – Mobilmachung ausgeschellt hat. Und ich bin heim gesprungen und habe gesagt: „Vater, der Schütz tut Mobilmachung schellen.“ Und da hat er gesagt: „Jetzt ist gefehlt.“ Das höre ich noch wie heute. Und da hat es nicht mehr lange gedauert, da hat er müssen einrücken. Da haben sie also einen totalen Druck ausgeübt. Der Ortskreis … Was weiß ich, wie der geheißen hat. Ortsbauernführer war ja wieder was anderes. Ortskreis…, was weiß ich. Auf jeden Fall hat der sich total groß gemacht, was nachher dann natürlich klein war.

Ihr Vater musste also einrücken. Und die Landwirtschaft? Hat müssen weitergehen. Und da ist viel passiert. Da sind Pferde eingegangen und Schweine eingegangen und das war also furchtbar, wirklich furchtbar. Und dann ist es eben so weitergegangen. Die Mutter hat müssen schwer schaffen und hat sich total eingebracht. Mein Bruder natürlich auch und er war ja erst 13, 14 dann. Und ich habe müssen kochen. Wenn ich gefragt habe: „Mutter, was soll ich kochen?“ Dann hat sie gesagt: „Koch halt etwas.“